Im Rückblick betrachtet ist die grenzüberschreitende Beschäftigung der Lothringer ein seit Langem bestehendes Phänomen, das bereits seit der französischen Volkszählung von 1968 deutlich zu beobachten ist. In dem genannten Jahr zählte man fast 7.000 Grenzgänger. Bis in die 1980er Jahre war Deutschland Ziel von zwei Dritteln dieser Grenzgänger, insbesondere aufgrund der Nähe der Produktionsstrukturen/-apparate, aber auch aufgrund der im Grenzgebiet herrschenden Mehrsprachigkeit und − ganz allgemein − der langjährigen gemeinsamen Geschichte.

Lange Zeit profitierte das lothringische Grenzgängerwesen von einer starken Tertiarisierung der Wirtschaft, jedoch einhergehend mit einer anhaltenden Zunahme der Arbeitsplätze in der Industrie, wenn auch in deutlich vermindertem Tempo. Zwischen 1968 und 1990 nahm die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie um +302% zu, zwischen 1990 und 2010 um +28%. Die Beschäftigung im tertiären Sektor nahm im Vergleich dazu im ersten Zeitraum um +503%, im zweiten Zeitraum um +402% zu.1

Klassischerweise werden vier Entwicklungsphasen der grenzüberschreitenden Beschäftigung unterschieden2:

Zwischen 1968 und 1975 führten die Umstrukturierungen in der französischen Industrie dazu, dass viele Lothringer die Grenze überquerten, insbesondere nach Deutschland, um dort Tätigkeiten auszuüben, die den auf französischer Seite verlorenen ähnelten. In diesem Zeitraum begann Luxemburg mit der Diversifizierung seines Produktionsapparats: Bisher war das Land auf industrielle Aktivitäten (Stahlindustrie) ausgerichtet, nun wandte es sich mit einer attraktiven Politik für ausländische Investitionen dem Dienstleistungssektor (insbesondere Finanz- und Bankwesen) zu.

Zwischen 1975 und 1982 sind auch der deutsche und luxemburgische Industriesektor von Umstrukturierungen betroffen. Die Aufnahmekapazität dieser Länder für Grenzgänger entwickelt sich nur moderat.

Von 1982 bis 1990 steigt die Zahl der lothringischen Grenzgänger wieder an − in Richtung Deutschland, vor allem aber in Richtung Luxemburg, das von der zuvor eingeleiteten Tertiarisierung seiner Wirtschaft in vollem Umfang profitiert. Die grenzüberschreitende Beschäftigung in Luxemburg nimmt von da an kontinuierlich zu, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, der allein durch die ansässige Bevölkerung Luxemburgs nicht mehr gesichert werden kann.

Zwischen 1990 und 2010 hat sich die Zahl der Auspendler verdreifacht, vor allem in Richtung Luxemburg und zugunsten des Dienstleistungssektors (+570 % der Arbeitsplätze zwischen 1990 und 2010, gegenüber einem Anstieg in der Industrie um +100%). Anfang 2000 überstieg das Volumen der Grenzgängerströme nach Luxemburg das Volumen der Grenzgängerströme nach Deutschland. Es ist anzumerken, dass der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt Lothringen-Wallonien ebenfalls in den 1990er Jahren entstand, zunächst mit einem fast ausgeglichenen Verhältnis zwischen industriellen und tertiären Arbeitsplätzen (jeweils fast 40 % der Arbeitsplätze), und 2010 zugunsten des tertiären Sektors (59 %).  

Das Verarbeitende Gewerbe: Wichtigster Arbeitgeber der lothringischen Grenzgänger

Nach der Systematik der Wirtschaftszweige in 21 Abschnitten ist das Verarbeitende Gewerbe im Jahr 2019 mit 17,4% der Beschäftigten der wichtigste Arbeitgebersektor für lothringische Grenzgänger. Im Einzelnen sind es insbesondere die Metallurgie und die Herstellung von Metallprodukten, die die meisten Grenzgänger beschäftigen (29,3%).

Es folgen die Gummi- und Kunststoffindustrie (15,4%), der Fahrzeugbau (14,9%) und die Lebensmittelindustrie (11,4%). Die Bereiche Handel und die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (16,3%), die Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen stellen (9,9%), die Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen1 (9,4%) und das Baugewerbe (9,0%).

In den fünf wichtigsten Sektoren arbeiten fast zwei von drei Grenzgängern (63,1%). Je nach Teilregion unterscheidet sich das Gewicht dieser fünf Sektoren erheblich: Sie stellen 78,0% der Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz dar, 71,0% im Saarland, 60,2% in Wallonien und 60,1% in Luxemburg. In den beiden letztgenannten Regionen stellt der Rückgriff auf Grenzgängerbeschäftigung in größerem Umfang ein neueres Phänomen dar als in den deutschen Ländern, und die betroffenen Wirtschaftszweige sind stärker auf den tertiären Sektor ausgerichtet.

1 Laut INSEE umfasst diese Kategorie verschiedene Aktivitäten zur Unterstützung der allgemeinen Tätigkeiten von Unternehmen, wie z. B. die Vermietung von beweglichen Sachen, die Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften (insbesondere Zeitarbeitsfirmen), Reisebüros, Reiseveranstalter und Erbringung sonstiger Reservierungsdienstleistungen, Wach- und Sicherheitsdienste sowie Detekteien (kaufmännischer Bereich), Gebäudebetreuung, Garten- und Landschaftsbau (insbesondere Reinigung) und die Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen für Unternehmen. Diese Aktivitäten unterscheiden sich von denen der Kategorie M (Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen), da ihr Hauptzweck nicht im Transfer von speziellen Kenntnissen liegt.

2021 ersetzt der Handel und die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen das Verarbeitenden Gewerbe als wichtigster Arbeitgeber der lothringischen Grenzgänger

Nach der Nomenklatur der Wirtschaftszweige mit 21 Positionen tritt das verarbeitende Gewerbe, das bis 2020 den wichtigsten Arbeitgebersektor für lothringische Grenzgänger darstellte, 2021 seinen ersten Platz an den Sektor Handel und Reparatur von Kraftfahrzeugen mit 16,5 % ab, gegenüber 15,1 % für das verarbeitende Gewerbe.  Im Detail der Industrien sind es insbesondere die Metallurgie und die Herstellung von Metallprodukten, die die meisten Grenzgänger beschäftigen (28,9 %). Es folgen die Gummi- und Kunststoffindustrie (14,5%), der Fahrzeugbau (14,1 %) und die Lebensmittelindustrie (12,3 %).

Weiter nach der Nomenklatur der Wirtschaftszweige mit 21 Positionen folgt an dritter Stelle die Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (9,7 %)[1], das Baugewerbe (9,6 %) und die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (9,3 %). In den fünf wichtigsten Sektoren arbeiten fast zwei von drei Grenzgängern (60,2 %).

 

[1] Laut INSEE umfasst diese Kategorie verschiedene Aktivitäten zur Unterstützung der allgemeinen Tätigkeiten von Unternehmen, wie z. B. die Vermietung von beweglichen Sachen, die Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften (insbesondere Zeitarbeitsfirmen), Reisebüros, Reiseveranstalter und Erbringung sonstiger Reservierungsdienstleistungen, Wach- und Sicherheitsdienste sowie Detekteien (kaufmännischer Bereich), Gebäudebetreuung, Garten- und Landschaftsbau (insbesondere Reinigung) und die Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen für Unternehmen. Diese Aktivitäten unterscheiden sich von denen der Kategorie M (Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen), da ihr Hauptzweck nicht im Transfer von speziellen Kenntnissen liegt.

Die Aufgliederung der Wirtschaftszweige nach Teilregionen zeigt unterschiedliche berufliche Profile:

Luxemburg hebt sich durch das Gewicht der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (10,8 %) ab − ein Wirtschaftsbereich, der in den anderen Teilgebieten nicht als einer der Hauptarbeitgeber erscheint (unter 3 %) − sowie durch das Gewicht der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (10,4 %), einschließlich insbesondere der Tätigkeiten von Zeitarbeitsfirmen und Reinigungsunternehmen. Mit mehr als 11.236 Grenzgängern macht das Verarbeitende Gewerbe jedoch nur 10,9 % aller Pendler aus. Im Zusammenhang mit diesen Wirtschaftszweigen gehören zu den wichtigsten Berufen bei den Grenzgängern Techniker in den Bereichen Verwaltung, Buchhaltung und Finanzen (3,3 %), Führungskräfte in den Bereichen Verwaltungs-, Buchhaltungs- und Finanzdienstleistungen (3,6 %) und Reinigungskräfte (3,9 %). Es sei jedoch daran erinnert, dass die größte Besonderheit der grenzüberschreitenden Arbeit in Richtung Luxemburg im statistischen Sinne des Begriffs mit den Tätigkeiten der europäischen Institutionen verbunden ist (in der Tabelle als exterritoriale Tätigkeiten bezeichnet), obwohl es sich um ein kleines Beschäftigungsvolumen (619 Personen) handelt.

In Richtung Rheinland-Pfalz beschäftigt das Verarbeitende Gewerbe 40,6 % der Grenzgänger. In der Branche sind die Metallurgie und die Herstellung von Metallprodukten sowie der Maschinenbau am wichtigsten für die Beschäftigung (17,7 % bzw. 43,0 % der Beschäftigten). Auch der Handel und die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen sind mit 23,6 % der lothringischen Grenzgänger gut vertreten. Verkäufer sind auch hochrangige Berufe (7,6 %), gefolgt von den ungelernten Arbeitern im Maschinewesen (6,6 %), dann kommen der ungelernten Arbeiter in der Fördertechnik  (5,5 %).

Auch in Richtung Saarland ist das verarbeitende Gewerbe der wichtigste Arbeitgeber und beschäftigt 36,1 % der Grenzgänger. Die Herstellung von Fahrzeugen beschäftigt die meisten lothringischen Grenzgänger (fast ein Drittel der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe), was mit dem Standort von Ford in Saarlouis (Saarland) zusammenhängt, dessen Aktivitäten in den nächsten Jahren an einen anderen Standort in Spanien verlagert werden sollen. Auch der Handel und die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen sind gut vertreten (18,5 %). Die Hauptberufe sind somit ungelernte Arbeiter für Maschinenwesen (5,9 %), die Reinigungskräfte (4,7 %) oder die Verkäufer (4,6 %).

In der Wallonie beschäftigt das Verarbeitende Gewerbe 28,1 % der lothringischen Grenzgänger. Im Einzelnen machen die Aktivitäten der Lebensmittel- und Getränkeindustrie (zurückzuführen auf die Niederlassung des Unternehmens Ferrero in Arlon) 31,4 %. Die Aktivitäten der Holz-, Papier- und Druckindustrie beschäftigen 25,9 % de Grenzgänger. Die lothringischen Grenzgänger sind in diesem Bereich am häufigsten tätig als Facharbeiter und ungelernter Arbeiter in der Prozessindustrie (jeweils 7,6 bzw. 7,5 %), die Verkäufer (6,8 %). Auch das Gesundheits- und Sozialwesen zählt mit 18,7 % der beschäftigten Grenzgänger zu den wichtigsten Arbeitgebern; dieser Anteil ist zweimal so hoch wie bei den Grenzgängerströmen in die anderen Teilgebiete. Die Attraktivität des Gesundheitszentrums von Arlon erklärt, warum der Beruf des Krankenpflegers zu den am häufigsten ausgeübten Berufen zählt (6,0 %).

N.B.: Die präsentierten Daten werden entsprechend der französischen Nomenklatur der Berufsgruppen (Nomenclature des Familles professionnelles) wiedergegeben, die 87 Berufsgruppen (FAP 2009) umfasst. Diese Nomenklatur unterscheidet die Berufe entsprechend ihrem Qualifikationsniveau nach sieben Kategorien, da-runter insbesondere die „manœuvres et ouvriers non qualifiés“ (ungelernte Arbeiter), die „ouvriers qualifiés et ouvriers hautement qualifiés“ (Facharbeiter und besonders hoch qualifizierte Arbeiter) oder auch die „employés non qualifiés et employés qualifiés“ (Hilfsangestellte und Fachangestellte). Diese Nomenklatur ist an die Nomenklatur der Berufe und sozialen Gruppen (Nomenclature des Professions et Catégories Sociales/PCS) angelehnt, die vom INSEE im Rahmen des Zensus verwendet wird, um die abgegebenen Antworten der erfassten Personen zu kodieren. Achtung: Um das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz umzusetzen, haben Luxemburg und Belgien den „statut unique“ (Einheitsstatus) in ihre Gesetzgebung aufgenommen, der die Unterscheidung zwischen dem Arbeiter- und Angestelltenstatus aufhebt. Diese Reform, die am 1. Januar 2009 in Luxemburg und am 1. Januar 2014 in Belgien verabschiedet wurde, führt dazu, dass in den von diesen Ländern bereitgestellten Statistiken keine Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern mehr möglich ist.