Catherine Filpa, Leiterin der Studie, wies zuerst auf die schwierigen Forschungsumstände hin. So ist zum Beispiel die Darstellung der verschiedenen Schulsysteme äußerst komplex: Begriffe aus dem Schulalltag wie Stufe, Klasse, Sektion, Abschnitt, Kurs oder Zweig werden in allen Regionen unterschiedlich verwendet. Daten zu Schülerzahlen im Fremdsprachenunterricht sind oft lückenhaft oder werden ungerne freigegeben. Im weiteren Verlauf wurde diese Problematik durch einen Beitrag von René Kratz (OREFQ) zur Bearbeitung der statistischen Daten ergänzend vertieft.
Unterschiede…
Zu Beginn gab Frau Filpa einen Überblick über die verschiedenen Sprachentraditionen der Teilregionen. In der Wallonie ist das Thema Sprache durch die Geschichte – wie im übrigen Belgien auch – ein höchst politisches Thema. Luxemburger und Bewohner der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens leben einen wirklich mehrsprachigen Alltag. Rheinland-Pfalz hat durch die amerikanische Besatzung eine starke angelsächsische Tradition. Das Saarland und Lothringen hingegen teilen traditionell einen gemeinsamen Dialekt. Diese Traditionen und Grundvoraussetzungen prägen entscheidend das Gesicht des modernen Sprachunterrichts.
Zum Beispiel ist es im Departement Moselle – im Gegensatz zum Rest von Frankreich – möglich mit Deutsch als erster Fremdsprache zu beginnen. In Rheinland-Pfalz ist das englische bilinguale Angebot viel ausgeprägter als im Saarland; und in Luxemburg ist die Integration der Einwandererkinder mit einer Muttersprache die nicht zu den Amtssprachen zählt, die größte Herausforderung. Außerdem gibt es große Unterschiede, wann Kinder zum ersten Mal mit der Fremdsprache konfrontiert werden. Um nur einige Bespiele zu nennen: In der DG Belgiens ist der Kontakt mit dem Französischen schon im Kindergarten Pflicht, während in der französischsprachigen Wallonie Schüler erst im Alter von 10 Jahren ihren ersten fremdsprachlichen Unterricht erhalten. In Luxemburg werden alle Kinder bereits in der Grundschule auf Luxemburgisch, Französisch und Deutsch unterrichtet. In den deutschen Regionen ist eine komplette Schullaufbahn und das Erreichen der Berufsschulreife mit nur einer Fremdsprache möglich.
…und großregionale Gemeinsamkeiten
Trotz aller Unterschiede gibt es auch Prinzipien, die von allen Regionen der Großregion geteilt werden. So sollte der Sprachunterricht sich an den Talenten und den Sprachbiographien der Schüler orientieren und vom Kindesalter bis zur Hochschulbildung kohärent aufeinander aufbauen. Die Schüler sollten die Sprachkenntnisse kontextbezogen und praxisorientiert erwerben. Die angestrebten Niveaus werden mit Hilfe des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen definiert: Nach der Grundschule soll im Allgemeinen das Niveau A1 und nach der Sekundarstufe 1 das Niveau B1 erreicht werden. Für die Hochschulqualifizierung wird in der Großregion ein B2 oder C1 Niveau für die erste, und ein B1 oder B2 Niveau für die zweite Fremdsprache angestrebt. Außerdem wird Englisch überall als lingua franca angesehen.
Anregungen…
Das Referat wurde abgeschlossen mit Vorschlägen zur Verbesserung des Sprachunterrichts. Frau Filpa wies auf die Bedeutung einer möglichst frühen Gewöhnung der Kinder an den Klang einer Sprache hin und betonte die Wichtigkeit, Sprachen in einer interaktiven Situation zu lehren, die das Sprechen der Schüler notwendig macht. Als sehr vielversprechend schätzten die von Catherine Filpa befragten Experten auch den grenzüberschreitenden Austausch von Lehrkräften ein. Dieser könnte auf Gegenseitigkeit beruhen und darum ohne großen administrativen und finanziellen Aufwand organisiert werden. Das Prinzip hat den Vorteil, dass Schüler in nicht-sprachlichen Fächern kontextbezogen mit einer Fremdsprache in Kontakt gebracht werden. Außerdem warnte die Referentin vor der Entwicklung, dass Arbeitgeber für den Nachweis von Fremdsprachkenntnissen zunehmend die teuren Zertifizierungen privater Sprachinstitute anfordern. Für sozial schwache Schülerinnen und Schüler stelle dies eine weitere Hürde auf dem Ausbildungs-und Arbeitsmarkt dar.
…und Beiträge aus der Praxis
Insbesondere der letzte Teil des Vortrages beschäftigte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der anschließenden Diskussion. So wurden Erfahrungen aus dem Projekt Trilingua geschildert, welches in der Großregion auf Vor- und Grundschulniveau grenzüberschreitende Lehreraustausche organisiert. Eine Teilnehmerin wies darauf hin, dass klassische Schüleraustausche nicht mehr den modernen Anforderungen gerecht werden. Stattdessen müssten mehr bilinguale und grenzüberschreitende Projektarbeiten initiiert werden, um auf das moderne, globale Arbeitsumfeld vieler Beschäftigten vorzubereiten. Zum Thema Zertifizierung von Sprachkenntnissen wurde auf den europass Sprachenpass vom Europarat hingewiesen. Als Teil des Europäischen Sprachenportfolios dokumentiert er die Sprachkenntnisse mit Hilfe eines Rasters zur Selbstbeurteilung, das auf dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen basiert. So wird es möglich, die eigenen Kenntnisse anhand gemeinsamer, in ganz Europa anerkannter Kriterien, selbst zu erfassen und zu bewerten.
Ein Experte aus dem Hochschulbereich berichtete, dass Theorie und Praxis oft sehr weit voneinander entfernt liegen, was das erreichte Fremdsprachniveau beim Beenden der weiterführenden Schule angeht: Studienanfänger erreichten in der Praxis nur selten das bescheinigte Niveau von B2/C1. Außerdem würden die zeitlichen Vorgaben zur Niveauerreichung falsch gesetzt: In frühen Jahren lernen Kinder schneller ein Sprache und könnten deswegen schneller als heute vorgegeben das Niveaus A1 erreichen, während man dann später, wenn das Erlernen einer Sprache schon schwerer fällt, mehr Zeit hätte das schwierige B2-Niveau zu erzielen.
Die Ergebnisse der Studie als Kapitel des 8. IBA-Berichtes und in Form von Monographien für die jeweiligen Regionen finden Sie hier.